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02. Raumpotentiale sichtbar machen

Aktualisiert: 28. Feb.

Renovierung und Einrichtung mit Blick auf die historische Verwurzelung des Ortes. Möbel als Speichermedien. Resonanzen zwischen Dingen und Epochen.


Renovierung des Dachbodens 2015. Diesen hatten wir erstmal ignoriert, um uns nicht zu überfordern. Allerdings regnete es durch die Decke. Die Dielung unter der Linoleum- und Spanplattenschicht war größtenteils nicht mehr brauchbar. Es gab noch einen historischen Türrahmen, der uns als Vorlage diente. Der Eichenschrank wurde kurz vor der Renovierung als „Leitmotiv ”für die späteren Ausgestaltung schon mal hinzugestellt.

Dachboden 2022. Blick in die beiden Zimmer, die als Beispiele gleich beschrieben werden.

Arbeit mit Kulturgeschichte, Annahmen und Raumpotentialen

Um bei der alten Metapher von einer gegenläufigen Bewegung oder doppelten geistigen Ausrichtung „zurück und nach vorne” zu bleiben. So war unsere Re-Möblierung der Wohnräume im Gutshaus selber überwiegend daran orientiert die geistige und kulturelle Verwurzelung des Ortes wiederzubeleben .


Es klingt paradox, aber dieses „Zurück” in das frühe achtzehnte Jahrhundert bedeutete (für uns) auch ein Rückverbindung in eine der geistig „progressivsten” Zeiten: Es ist die Zeit, in der in Deutschland (vornehmlich initiiert durch „Dichter und Denker” und als Reaktion auf die Französische Revolution) das Programm einer inneren Revolution oder einer „Revolution im Geiste” in Angriff genommen wurde.


Der Gründergeist um 1855 war ja stilgeschichtlich gesehen eine Bewegung über den Naturalismus in den Realismus in die „Materialität”. Oder in geistesgeschichtlichen Begriffen betrachtet eine Bewegung vom Idealismus über den Positivismus in die Materialität. Rückwendig bedeutet also nicht gleich konservativ, wie dies heute oft verstanden wird.


Nun aber zurück zu den Räumen.

Jedem Raum wohnt ein bestimmtes Potential inne. Dies ist, wie gesagt, nicht immer sofort sichtbar- aber spürbar. Durch dieses Erspüren gelangen dann doch noch einige Details genauer ins Sichtfeld bzw. sie werden bewusster wahrgenommen.


Dachkammer 01

An den Wänden waren die gemusterten Farbstreifen noch teilweise erhalten, die einstmals viel zu der poetischen Raumwirkung beigetragen haben mochten. Wir haben versucht die verbliebenen Farbspuren in ihrer besonderen und „unnachahmlichen” Signatur, so gut es ging, zu erhalten. Unnachahmlich deshalb, weil bestimmte Zeitqualitäten, Vorstellungen und Empfindungen, die in diesen aufgebrachten dekorativen Resten „graphologisch” (ähnlich wie bei einer Handschrift) noch vorhanden waren, sonst für immer verloren gegangen wären.


2012. Die originalen Wandfarben und Bemalungen waren noch vorhanden. Einige Dielen konnten wiederverwendet werden.

2022 Was brauchbar war, wurde erhalten. Das filigrane Doppelkasten Fenster hinten ist aus Ebay Kleinanzeigen. Solche Fenster werden heute leider nicht mehr gebaut.

In historischen Häusern wurde im Rahmen der regional entwickelten Bauweisen und dort verfügbaren Materialien übrigens oft viel origineller gebaut als dies etwa in Kataloghäusern heutzutage der Fall ist. So finden sich in der oben abgebildeten Kammer drei kleine Fensteröffnungen auf engstem Raum, sowie zwei durch Fachwerk unterschiedlich gegliederte sich gegenüberstehende Wände. Trotz der offensichtlichen Zerstörung besaß diese Kammer also ein recht hohes gestalterisches Ausgangspotential - allein schon durch diese baulichen Besonderheiten.


Die Möblierung

Wir haben selten historisch korrekt gearbeitet. Denn in dieser Dachkammer, die auch noch nie einen eigenen Ofen besessen hatte, gab es nie solche hochwertigen Möbel wie die, welche auf der zweiten Abbildung (nach der Renovierung) zu sehen sind.


Möbel können wie „Speichermedien” sein. Wenn sie aus einer klaren Vision und echter Leidenschaft, in welcher zugleich die jeweilige Zeitqualität am besten zum Ausdruck kommt, entworfen und gebaut wurden. Und wenn sie diese Zeitqualität, den „kulturellen „Impact” über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg in sich erhalten konnten.

Dies ist meistens dann der Fall, wenn sie nicht restauriert wurden oder zu mindestens nicht derart, dass sie „wie neu” aussehen sollten.


Solche Möbel haben glücklicherweise nicht den Marktpreis, den sie - bezogen auf ihre atmosphärische Wirkung- haben könnten, das heißt sie sind erschwinglich. Sie werten aber Räume enorm auf- quasi durch ihre „inhärenten Qualitäten”.


In dem Fall dieses Zimmers stammen die Möbel aus einer Zeit zwischen 1780 (die Stühle, und der Schreibtisch) und um 1820 (die Kommode). Auch wenn diese vor der Entstehungszeit des Gebäudes hergestellt wurden und aus einem sicher nobleren Umfeld stammen, so könnten sie doch durchaus in einem Raum mit dieser Textur und Materialität gestanden haben. Und sie verbinden sich mit diesem auf eine visuelle und zugleich auch feinstoffliche Weise.


Alles dort hat als eine Gemeinsamkeit den handwerklichen Charakter der Dinge.

Resonanzen und Simulationen

Alles, was zusammengestellt wird, erzeugt ein visuelles Bezugsfeld- oder auch nicht. Feinstofflich wahrgenommen kann dadurch auch ein energetisches und hoffentlich auch inspirierendes Feld durch den Zusammenklang miteinander resonierender Dinge entstehen.


Beispielsweise wird der handwerkliche Charakter des grob gezimmerten Fachwerks in dieser Kammer durch die filigranen Schreib- und Sitzmöbeln wieder aufgenommen. (Zu dieser Zeit wurden Möbel noch nicht maschinell gedrechselt, sondern geschnitzt).


Das Louis Seize war die Epoche der französischen Revolution. In gewisser Weise war es auch die Wiegenzeit des Idealismus. Diese Zeit war noch aristokratisch geprägt. Und es war die Zeit der Empfindsamkeit und der „Verfeinerung”.

Das Assoziationsfeld oder fiktive Narrativ dazu könnte sein: Hier handelt es sich um die Dachkammer oder die Schreibstube eines (ev. verarmten, ev. adligen c;) Dichters. Diese hat wie durch ein Wunder den Wechsel und Zahn der Zeiten überlebt hat.


Die Ganze ist also eigentlich eine Simulation. Doch weil die Dinge zugleich stilistisch, assoziativ und atmosphärisch zusammenpassen, eine „authentisch wirkende Simulation”.


Dachkammer 02


Die Dielung war zum Glück noch erhalten. Wegen der DDR Fenstern mit ihren Normmaßen wurden der mittlere Fensterabstand stark verringert. Diese wurde wieder etwas verbreitert. Die Fenster kommen ebenfalls aus Ebay Kleinanzeigen und wurden später doppelverglast. Die Vorhänge wurden aus historischen Leinballen genäht.

Malerei mit Lehm Lehmfarben haben eine warme, natürliche Ausstrahlung und sie gehen mit einem (alten) organischem Untergrund (in diesem Fall Kalkputz) unterschiedlich getönte Schattierungen ein. Zusammen mit einem transparenten und lasierenden Malstil bleiben die Spuren des Vergangenen in der Wand sichtbar und lesbar.

Resonante Verbindungen zwischen Moderne und Proto-Moderne

Die meisten antiken Möbel in den Räumen stammen aus der sogenannten „Protomoderne”. Das war vor allem die Zeit zwischen 1800 und 1820, also auch die Zeit des Idealismus, der deutschen Klassik und auch der Frühromantik.


Die Möbel dieser vormodernen "Moderne" waren schlicht und funktional. Sie versuchten mit einfachsten Mitteln zugleich vornehm und edel zu wirken. Meistens gelang dies über ein entwickeltes Feingefühl für harmonische und erhabene Maßverhältnisse und durch eine besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung gegenüber den auszuwählenden Furnierhölzern.


Es ist auch die Epoche der Innerlichkeit, der inneren Werte, der Hinwendung zum Natürlichen und zur Natur. Und wenn ein Tischler in dieser besonderen Zeit mit Gefühl, Geschick und Hingabe ein Möbel hervorbrachte, dann konnte sogar ein Qualitätssprung stattfinden, eine Art von „Beseelung im Materiellen”.


An den Wänden und Möbeln zeigen sich die Spuren von über hundert Jahren.

Resonanzaustestung im grünen Zimmer: Kommode und Sessel

Sehen Sie sich die Kommode in der oberen Abbildung genau an: Die Schubladen sind minimal breiter und schmaler, sie sind minimal hervorkragend oder eingerückt. Sie haben nicht alle dieselbe Höhe. Machen Sie in Ihrer Vorstellung alle Schubladen gleich groß. Dann befinden Sie sich in dem gemeinhin bekannten Formkanon der Moderne. Dann ist der Zauber verloren.


Die Möbel des frühen achtzehnten Jahrhunderts waren einmal die Vereinigung einer ssublimen Wahrnehmung für höhere und idealistische Ordnungen, gepaart mit einer minimalistischen Ausdrucksweise, die bei kleinstem Aufwand den größten Effekt erzielte.


In ihren besten Hervorbringungen wirkt die Protomoderne sogar wie eine vorweg genommene „Essenz der Moderne”.


Während der Renovierung stand die Kommode schon da.

In diesen Raum sind während der Renovierung verschiedene Möbel hinein und wieder hinaus gewandert. Ihre Wirkung aufeinander und auf den Raum wurde getestet. Der oben abgebildete Stahlrohrsessel, war so ein Möbel.


Er ist ein Designklassiker der klassischen Moderne. Als solcher ist er ebenso schlicht und funktional konzipiert wie die Kommode. Beide Möbel passen formalästhetisch und weltanschaulich zusammen. Sie gehen miteinander in Resonanz.


Insofern lassen sich gut „resonante Verbindungen” und „zeitliche Brücken” bauen (etwas pauschalisiert gesagt) zwischen Dingen aus den 1820zigern, aus den 1920zigern und den 2020zigern. Aber auch Möbel aus den sechziger Jahren passen da hinein. Wieso?


Dies ist eine andere Geschichte. Es ist nicht die Geschichte des „Minimalismus”, sondern die des „Aufbruchs”: Sie beginnt in meiner Wahrnehmung in der Frühromantik, führt zu Monte Veritas und expressionistischen Freikörperkulturen, zur Hippie Bewegung, zur Friedensbewegung bis hin zu einem gegenwärtigen Aufbruch in eine neue Zeit.


Im Feinstofflichen gibt es diese Verbindungen und Affinitäten zwischen Dingen und Ereignissen. Und gerade heute „resoniert” unsere Bestrebung uns von zunehmender Kontrolle und Systemzwängen zu befreien, um wieder in eine schöpferische Autonomie zu kommen mit de frühromantischen und künstlerischen Befreiungsbewegung, die damals der bürgerlichen Enge entkommen wollte.





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