Und wie dies mit dem Sinn für Kommendes zusammenhängt. Wohnen auf der Baustelle. Heidegger als Inspirator.
Nochmal die Aufnahmen von 2012 (siehe Teil 1) und von dem selben Räume 2023. Der Geist ist geblieben, nur der Sanierungszustand hat sich geändert.
Damals und Heute
Diese Weitungen in Vergangenes und Zukünftiges bestimmen bis heute die Atmosphäre des Ortes. Auch entlang der „gründerzeitlichen” Elemente sind wir den Möglichkeiten nachgegangen, sind dem stolzen Fortschrittsglaubem in Hinblick auf eine neue Ära und der Lust auf ein tätiges, produktives Voranschreiten gefolgt.
Die Räume, in denen immer schon für eine bessere Zukunft gewirtschaftet wurde, sind eher mobil und funktional ausgestattet. Dort wo damals repariert und gezimmert wurde, können heute Prototypen gebastelt werden. Dort wo die Ernte eingefahren wurde, ist nun viel Platz für Offsites .
An diesem Ort, an dem der Fortschritt mechanisch gedacht und verwirklicht wurde, wird er jetzt mit digitalen Mitteln projektiert und umgesetzt. Insofern ist all dies hier immer schon ein altherrschaftliches Landgut und (zugleich ein) Laboratorium für Zukünftiges gewesen.
Obere Bildreihe: Robin Day´s Prolyproyläne-Stühle gibt es immer noch (günstig) zu kaufen. Sie sind ein Beispiel dafür, wie sich eine bestimmte Zeitqualität in Form eines Stuhls manifestieren kann. Diese passen durchaus zu einem Stil, der zweihundert Jahre zurück liegt aufgrund des „Resonanzprinzip der Kongenialiät”.
Untere Bildreihe: Der Seminarraum hat „zwei zeitgeschichtliche Enden”. Das hintere Ende mit der Flügeltüre ist stilistisch und atmosphärisch im achtzehnten Jahrhundert verankert. Die gegenüberliegende Wand mit Whiteboard und Leinwand ist sozusagen neuzeitlich.
Kreatives Paradox
Die Gleichzeitigkeit beider zeitlichen Dimensionen kann den seltsam paradoxen und inspirierenden Effekt einer „gegenseitigen Verstärkung” erzeugen.
Je weiter in die Vergangenheit geblickt werden kann und diese auch spürbar anwesend ist, desto weiter kann auch in Zukünftiges geschaut und gedacht werden.
Viscioncamp und Ideenwettbewerb von sechs europäischen Hochschulen im Projektraum Drahnsdorf, wie sich Nachhaltigkeitsthemen in zukünftigen Filmstudiengängen integrieren lassen.
Deswegen gehören das historische Gutshaus und das zukunftsorientierte Laboratorium für uns auch zusammen - als Ausdruck dieses Gedankens.
Ein wenig erklärt sich dieses Paradox auch mit der Metapher eines Baumes, dessen Wurzeln tief in die Erde eindringen müssen, damit er besser in die Höhe wachsen kann. So ist der Blick in die kulturelle Vergangenheit und substantielle Identität wichtig, um diese in Zukünftiges fortzudenken zu können.
Zumal wenn man in einer vorhergehenden Epoche etwas hoch entwickelt war, wie das „Zeremonielle” im Barock, das ”Kontemplative" im Mittelalter oder „Naturverbundenheit und Schöpfertum als konstitutives Element von Freiheit” wie im frühen achtzehnten Jahrhundert. (siehe auch Schöpferisches Handeln)
Eine Schwierigkeit im feinstofflichem Feld.
In der feinstofflichen Feldwahrnehmung liegen Introspektion und Projektion, Dichtung und Wahrheit oft eng beieinander. Was ist vielleicht nur Wunschdenken oder subjektive Interpretation? Viele Entscheidungen werden zudem intuitiv gefällt und es kann nicht alles so leicht vermittelt werden.
Andererseits eröffnen sich ganz andere und oft subtilere Gestaltungsmöglichkeiten, die sich nicht nur logisch erschließen, die eher resonant und interpretationsoffen sind.
Martin Heidegger vor seinem „Bau”.
Ausblick und Heidegger als Pate
Was bisher unerwähnt wurde, weil es für uns so selbstverständlich geworden war, ist, dass wir den Ort während der Renovierungsarbeiten allmählich anfingen zu bewohnen.
An dem Ort zu wohnen, während er renoviert wird, ist sehr hilfreich - weil es dadurch möglich wird „mit diesem Ort zu sein”. Wenn wir als ein „Zukunftsort” des gleichnamigen Netzwerks über unsere Erfahrungen gesprochen haben, dann haben wir oft über agile Methoden, Co-Creation, digitale Werkzeuge oder unsere politische Arbeit gesprochen.
In der Rückbesinnung waren der Aufenthalt und damit verbundenen intensive innere Begegnung mit dem Ort, dem Gebäude, der Landschaft, der Natur und der Erde viel bedeutsamer und dies hat uns mehr oft unbemerkt beeinflusst, inspiriert und geleitet.
In der Stadt waren wir abgelenkt. Vieles dort ist Kopfsache. In der Begegnung mit einem Ort ist vieles Bauchsache. Die besten Entscheidungen kommen aus einer ganzheitlichen Wahrnehmung, kommen aus dem „Da-sein” und aus „Mit den Dingen sein”.
Es ändert sich gerade sehr viel und das macht Hoffnung. Die feinstofflichere Wahrnehmung, die auch schamanischer Arbeit ähnelt, ist ein Phänomen, dass beginnt, wenn wir anfangen unserer Intuition und unseren Sinnen wieder zu vertrauen.
Dabei kommen wir im „resonanten Feld" zu Entscheidungen, die natürlich auch viel mit der eigenen Prägung zu tun haben - wie sicher auch einige ästhetisch-stilistische Setzungen an diesem Ort eine sehr subjektive Wahrnehmung zugrunde liegt.
Darüber hinaus reicht das feinstoffliche Feld oder besser die feinstoffliche Welt noch sehr viel weiter und wir beginnen gerade erst, sie zu erschließen. Immer mehr Menschen werden "hellfühlig" und was sie zu erzählen haben, erinnert mich an den berühmten Satz aus dem Hamlet:
„Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt".
Wir sind während der Renovierung auf einen für uns sehr aufschlussreichen Text gestoßen der beschreibt, wie Bauen und Wohnen früher gelebt wurde bzw. etymologisch betrachtet eine Einheit war, wie zu solchen Zeiten selbstverständlich an seinem „Bau gebaut” und gleichzeitig eben auch dort „gewohnt” wurde.
Das Bauen war nicht nur eine Episode im Leben. Heute wird dies aufgrund der üblichen Beauftragung von Baufirmen nicht wirklich als eine produktive und schöpferische Selbsttätigkeit erlebt. Diese Tätigkeit war in früherenn Zeiten nach Martin Heidegger sogar ein Teil des „Gewohnten”.
In dem Text Bauen Wohnen Denken wird sehr anschaulich beschrieben, wie auch das Denken (auch das baubezogene Denken) dadurch nicht so leicht in die Irre gehen kann, wenn es in der Seinsverbundenheit bzw. in einer Art feinstofflichen Wahrnehmung, verbleibt.
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